Ästhetik und Funktion
Einführung
Die craniomandibuläre Dysfunktion ist ein komplexes zahnärztlich-orthopädisches Syndrom, welches eine Vielzahl unspezifischer, muskulärer und neuralgiformer Schmerzsensationen sowie Fehlfunktionen beinhaltet.
Aufbauend auf den frühen Arbeiten von GELB 1977, HANNSSON 1977, Travell und Simons 1984, ROCABADO 1983 und 1987, KROUGH - POULSEN 1975 u.a.) gilt es mittlerweile als wissenschaftlich erwiesen, dass das orofaziale System durch muskuläre Dysfunktionen und fehlstatische Komponenten des Bewegungssystems beeinflußt wird (ascendierende Dysfunktion). Insbesondere die Beeinflussung der Halswirbelsäule durch das orofaziale Sytem gilt als gesichert. Fehlhaltungen des Körpers, die auf Muskelfunktionsstörungen mit oder ohne skelettale Veränderungen zurückzuführen sind, können so zu einer Fehlposition des Kopfes, des Unterkiefers und der Kiefergelenke führen und eine craniomandibuläre Dysfunktionen (CMD) auslösen. Neuere Erkenntnisse zeigen jedoch, dass oftmals die Okklusion des Patienten der Schlüssel der (Patho-)Funktion ist und die Feineinstellung der Wirbelsäule und der Körperhaltung mitbedingt (descendierende Dysfunktion).
Diagnostik und Vorbehandlung
Im vorliegenden Fall eines 51-jährigen Patienten mit craniomandibulärer Dysfunktion zeigte sich eine autodestruktive Okklusion mit protrusivem Bruxismus mit zunehmender Bisserniedrigung, HWS Problematik und beidseitiger Subluxation ohne Reposition.
Der Patient wurde jahrzehntelang nicht therapiert. Seine orthopädischen Beschwerden (Ischialgien, Skoliose nach rechts) sowie Tinnitus, Augenflimmern und Sehstörungen wurden nicht in Verbindung mit der stomatognathen Störung gebracht. Das beidseits reziproke Gelenkknacken wurde vom Hauszahnarzt mittels einer sog. "Knirscherschiene" therapiert. Auf der für CMD-Patienten stets typischen "Ärzte-Odyssee" wurden HNO, Neurologie, Orthopädie, Psychosomatik, Physiotherapie und Schmerztherapie durchlaufen. Eine kausal gerichtete interdisziplinäre Diagnostik und Therapie waren bislang nicht erfolgt. Die ganzkörperlichen Beschwerden verstärkten sich im Laufe der Jahre.
Zunächst erfolgte eine initiale 6-monatige Funktionsschienentherapie mit begleitender Manualtherapie und Funktionsmassage. Diese physiotherapeutischen Begleitbehandlungen wurden ganzkörperlich durchgeführt und blieben nicht auf das stomatognathe System und den HWS-Bereich beschränkt. Die Schiene wurde nach computerisierter Gelenkanalyse (Cadiax-Analyse nach Slaviczek, Fa. Girrbach Dental ®) sowie der Staub Cranial-Analyse angefertigt. Messtechnisch zeigte sich ein Bisshöhenverlust von 8 mm. Das rectorale Trapez war rechtsseitig um 2 mm komprimiert.
Es zeigte sich, dass es nach mehrmonatiger Schienentherapie durch eine sog. Distraktionsdiskogenese zu einem Verschwinden der Subluxationsphänomene, der craniomandibulären und orthopädischen Beschwerden kam. Daraufhin wurden die Vorbereitungen für die definitive prothetische Rekonstruktion getroffen. Sie wurde per Real Time MRT verifiziert.
Prothetisches Vorgehen
Durch die Gelenkdistraktion sowie die myofunktionelle Einstellung des Unterkiefers durch die Funktionsschienentherapie wurde die habituelle Position (ehem. Schlussbisslage) leicht nach anterior verschoben. Die neue funktionelle Kondylenposition wurde in der Zentrik festgelegt, d.h. in der vordersten, obersten und nicht seitenverschobenen Kondylenposition. Diese Position wird in der Funktionslehre der DGZMK als PKP (= physiologische Kontaktposition) bezeichnet. In dieser zentrischen Position wurde eine stabile Kondylus-Fossa-Position gefunden. Sie wurde per Real Time MRT verifiziert.
Nach der primären Bissnahme wurde zunächst eine idealisierte Aufstellung (diagnostisches Wax-up) im Labor angefertigt, um zum einen dem Patienten einen Eindruck von der späteren Arbeit geben zu können und zum anderen, um mit Hilfe von tiefgezogenen Miniplastschienen suffiziente Provisorien herstellen zu können.
Eine Übertragung der Primärbissnahme präprothetisch wurde nach muskulärer Relaxation und nicht nach der Schienenposition durchgeführt, da erfahrungsgemäß die Schienenposition den Unterkiefer zu weit nach anterior führt. Es resultiert dann oftmals eine postprothetische Retralbisslage mit anteriorer Nonokklusion. Bei der Auftstellung wurde auf eine strenge, balancefreie Fronteckzahnführung geachtet. Die Aufwachstechnik erfolgte nach den POLZ´schen Richtlinien. Die Kontaktpunkte wurden punktförmig konvex gestaltet, Schliffflächen und Konkavitäten weitgehend vermieden, da wie besonders in diesem Fall die Neigung zum protrusiven Bruxismus zu sehen war und letztere einen solchen Hang verstärken könnten.
Bei der Präparation wurde die Bissnahme Step-by-step unterfüttert nach SULLLIVAN, wobei die hintersten und vordersten Zähne eines Kiefers zunächst nicht präpariert wurden, um eine Dreipunktabstützung zu erreichen. Die Oberkieferposition wurde arbiträr registriert. Die Bisshebung erfolgte in Höhe von 6 mm, so dass gleichzeitig auch eine stabile Front-Eckzahn-Führung hergestellt werden konnte und noch eine Ruheschwebe von 3 mm vorlag. Aufgrund der kurzen Stumpfhöhe und der geringen Friktion wurden die unteren Frontzähne miteinander verblockt
Diskussion
Der dysfunktionelle kybernetische Regelkreis des craniomandibulären Systems kann bei fehlender oder insuffizienter Kompensation über komplexe neuromuskuläre Reflexkreise zu Irritationen im ganzkörperlichen craniovertebralen System führen.
Die fundamentale Rolle der Okklusion für das muskuläre Körpergleichgewicht sowie die "Feineinstellung der Wirbelsäule" wird immer noch dramatisch unterschätzt. Okklusionsbedingte Körperfehlhaltungen (kompensatorische Schonhaltungen) bedingen neben unspezifischen muskulären Verspannungen auch arthrotische Veränderungen an überlasteten Gelenkanteilen.
Eine Vielzahl von Patienten mit dieser ganzkörperlichen statischen "Entgleisung" irren immer noch fehldiagnostiziert in einem "Dentalen Niemands-Land" umher, schmerzgeplagt und ohne Hoffnung auf kausale Therapie, bestenfalls abgestempelt zu einem psychopathischen Irrläufer. Die Morbiditätsfrequenz dieser Dysfunktionssyndrome wird allgemein zwischen 20–40 % der Bevölkerung angegeben [John 1999].
In dem vorgestellten Fall handelt es sich um einen Patienten mit protrusivem Bruxismus, welcher als CMD Patient sehr spät diagnostiziert wurde und letztlich vor der stomatognathen Autodestruktion gerettet werden konnte. Neben orthopädischer und manualtherapeutischer Begleitbehandlung ist eine mindestens 6-monatige Funktionsschienentherapie zwingend notwendig, um einerseits die pathologischen neuromuskulären Muster auszuschalten, eine funktionelle Neuorientierung der Kondylus-Fossa-Therapie zu erreichen und auch um mit Hilfe der Staub-Cranial-Analyse das rectorale Trapez zu begradigen. Die prothetische Umsetzung erfolgt dann in der PKP nach Verifizierung der Diskusposition, ggf. mit Hilfe eines Real Time MRT.
Aus diesen Erkenntnissen heraus befindet sich die zahnärztliche Funktionsdiagnostik heute in einem zwingenden medizinischen interdisziplinären Umdenkprozess. Zahnmedizinische Funktionsdiagnostik und -therapie wird ohne orthopädisches, physiotherapeutisches und ggf. psychosomatisches Konsil zukünftig nicht mehr denkbar und vor allem nicht mehr lege artis sein.
(Literatur beim Verfasser)
Implantologische Ästhetik
Während in den vergangenen Jahrzehnten Implantate hauptsächlich gesetzt wurden, um einen festen Zahnersatz zu erhalten, müssen moderne Implantate heute auch Knochen und Zahnfleisch in der ursprünglichen Form zu erhalten und ein möglichst natürliches Erscheinungsbild des verlorenen Zahnes zu bieten. Um ein ästhetisch optimales Behandlungsergebnis zu erhalten, können verschiedene Techniken unabhängig von dem Implantatmaterial (Zirkon oder Titan) eingesetzt werden:
1. Die inzisionsfreie Implantation – ein Weg zum optimalen ästhetischen Ergebnis
Ebenso wie der Zahnerhalt naturgemäß zu den vornehmsten Aufgaben der Zahnheilkunde gehört, ist der Erhalt der periimplantären Hart- und Weichgewebsstrukturen das Erfolgsrezept der modernen Implantologen geworden. Es hat sich gezeigt, dass man bei idealen Vorraussetzungen Implantate ohne Schnitt oder Operation einsetzten kann. Dies bedeutet, dass das zahnfleisch nicht verändert oder verletzt wird und später ein absolut natürliches Erscheinungsbild liefert.
2. Schneller Ersatz mit Sofortimplantaten – der Erhalt Ihres Gewebes
Entscheidend für das Endergebnis ist in erster Linie der Zeitpunkt der Implantation nach dem jeweiligen Zahnverlust. In diesem Zusammenhang ist es mittlerweile unumstritten, dass eine Implantation direkt und am gleichen Termin mit der Zahnentfernung nicht nur zum Erhalt des Kiefers beiträgt. Wenn dann zeitgleich mit der Sofortimplantation auch eine Heilkappe ("Zahnfleischformer") auf das Implantat eingesetzt wird, bleibt auch der Zahnfleischverlauf, Form und Farbe der Zahnfleischpapillen erhalten ("transgingivale Einheilung"). Die gemeinsame Anwendung dieser beiden Methoden hilft oftmals einen größeren Knochenaufbau oder Zahnfleischrekonstruktionen zu vermeiden, der Patient hat anstelle mehrerer Operationen meist nur einen einzigen Eingriff.
3. Platform Switching – natürliche Knochenregeneration
Implantate, die mit einem schmäleren Kronenaufbau versorgt werden, haben mehr und stabilieren Knochenkontakt. Weiterhin haben umfangreiche Studien gezeigt, dass sich an solchen "Platform - Switch - Implantaten" später das Zahnfleisch nicht mehr zurückbildet, sodass das schöne Endergebnis über die ganze Tragezeit des Implantates erhalten bleibt.